Immer 20 Uhr mit Einführung von Tilman Schumacher:
8. Oktober: Ein Glas Wasser (Ludwig Berger, D 1922, 35mm)
5. November: Achtung! Liebe! Lebensgefahr! (Ernö Metzner, D 1928, 35mm)
3. Dezember: Geheimnisse des Orients (Alexander A. Wolkow, 1928, 35mm)
21. Januar: Das Schiff der verlorenen Menschen (Maurice Tourneur, D 1929, 35mm)
11. Februar: Die Hose (Hans Behrendt, D 1927, 16mm)
10. März: Die Jagd nach dem Tode I-II (Karl Gerhardt, D 1920, 35mm)
7. April: Die Jagd nach dem Tode III-IV (Karl Gerhardt, D 1920, 35mm)
5. Mai: Die keusche Susanne (Richard Eichberg, D 1926, 35mm)
Die Glanzzeit der analogen Kinoprojektion ist längst vorbei: Kopierwerke werden geschlossen; Filmarchive hüten ihre Schätze immer strikter; aktuelle Filme werden sowieso nur noch digital verliehen; Projektoren verstauben … Umso schöner, dass wir in der neuen, nunmehr siebten Ausgabe der Ballet-Mécanique-Stummfilmreihe (Okt. 2019 – Mai 2020) wieder dem Filmkorn mit historischen Kopien Tribut zollen, siebenmal auf 35mm- und einmal auf 16mm-Material.
Wir heben so die kulturgeschichtliche wie künstlerische Bedeutung des Materials hervor und machen darüber hinaus explizit Filme sichtbar, die bislang keine digitale Aufbereitung erfahren haben. Diese geht leider häufig mit dem Fortschreiben des gängigen filmhistorischen Kanons einher, uns soll es jedoch verstärkt um das Erkunden von Nebenpfaden dieser an Überraschungen so reichen Filmepoche gehen. Kopien selten gezeigter Titel aus dem Bundesarchiv-Filmarchiv, der Deutschen Kinemathek und dem Deutschen Filminstitut & Filmmuseum lassen die Vielschichtigkeit der Stummfilmepoche damit in einer ästhetisch wie technisch adäquaten Kinosituation – d.h. in ihrem ursprünglich intendierten Erfahrungsraum – zu ihrem Recht kommen.
Zugleich setzen wir unseren bewährten, auf die Visualität des Films fokussierten Ansatz fort: Die Filme werden stumm, das heißt ohne musikalische Begleitung zu sehen sein. Dieser verdichtete, in Leipzig sonst nicht praktizierte Vorführmodus entspricht zwar wiederum nicht der historischen Rezeptionsweise (ist eher einer Interpretation vergleichbar) hat aber einen – über mehrere Jahre hinweg nun schon bewährten – Vorzug: Die rein bildliche Ebene des Films, das „ballet mécanique“, tritt hierdurch besonders prägnant in den Fokus. Begleitet wird das Programm durch Einführungen des Kurators Tilman Schumacher, die Einblicke in die filmhistorische wie -ästhetische Dimension der Filme geben.
Wie schon in der letzten Ausgabe konzentrieren wir uns ganz auf den Stummfilm der Weimarer Republik. Jedoch steht die filmische Ausrichtung geradezu im Kontrast zur vorangegangenen. Statt sozialkritischer und dezidiert wirklichkeitsbezogener Filme stellt die neue Reihe mit dem bewusst reißerischen Titel ACHTUNG! LIEBE! LEBENSGEFAHR! Filme vor, die man dem Unterhaltungs- und sog. Trivialfilm zurechnet: Abenteuer in exotischen Welten, leichte Komödien mit erotischem Anstrich, die Macht der Triebe, moderne Technik und Lebensweisen, üppige ornamentale Dekors und rauschende Feste – kurz Sensationen aller Art. Die ausgewählten Filme entsagen dem Alltag, boten dem zeitgenössischen (Massen-)Publikum unverhohlen Spektakel und mitunter Eskapismus. Und sie waren damit meist an der Kinokasse enorm erfolgreich. Heute sind sie in der Wahrnehmung des Weimarer Kinos weitgehend in Vergessenheit geraten. Ein Umstand, den wir zum Anlass nehmen, gerade diese Geschichte der Filmepoche zu erzählen. Mit dem besagten Schwerpunkt soll eine Kinotradition hervorgehoben werden, die abseits der stetig vorgeführten Klassiker des deutschen Stummfilms angesiedelt, jedoch nicht minder bedeutsam ist: Stehen diese Filme doch für ein populäres Kino, das die etablierten Genres der Kaiserzeit mit Impulsen aus dem Ausland, vorrangig des amerikanischen Films, verband und damit stilprägend für spätere Zeiten wurde.
Das Sensationelle, Ausschweifende und Elegante durchzieht die Auswahl. Es sind gleich drei Lustspiele vertreten, die sich mit dem „Kampf der Geschlechter“, d.h. amouröser Irrungen und Wirrungen angesichts der herrschenden Moral am englischen Hof, dem Paris des Moulin Rouge und der wilhelminisch-puritanischen Kleinstadt auseinandersetzen. Bissige Unterhaltungsfilme, die mit zeitgenössisch berühmten Namen aufwarten: DIE KEUSCHE SUSANNE von Richard Eichberg, EIN GLAS WASSER von Ludwig Berger und Hans Behrendts DIE HOSE. Dramatisch überhöht und abgründig geht es im titelgebenden ACHTUNG! LIEBE! LEBENSGEFAHR! von Ernö Metzner und im SCHIFF DER VERLORENEN MENSCHEN des französischstämmigen Hollywood-Routiniers Maurice Tourneur zu. Neben der unheilvollen Verbindung aus Begehren und Bedrohung verleihen diese beiden Filme der zeitgenössischen Faszination für moderne Technik (Automobil und Flugzeug) Ausdruck. Bei GEHEIMNISSE DES ORIENTS haben wir es mit einem weiteren nicht-deutschen Regisseur, dem Exil-Russen Aleksander Wolkoff, zu tun. Im Zuge der russischen Revolution gingen eine Reihe politisch oppositioneller Filmschaffende ins europäische Ausland. Vor allem verschlug es sie nach Frankreich, doch auch in Deutschland entstanden Filme, die oftmals auf klassische Stoffe der Weltliteratur zurückgriffen und dabei eher einer rückwärtsgewandten Ästhetik anhingen. Wolkoffs Variation der Geschichten aus 1001 Nacht dockt an das in den späten 1910er- und frühen 1920er-Jahren beliebte exotistische Abenteuer-Genre an, für das u.a. die Kino-Mehrteiler Fritz Langs und Joe Mays stehen. Ein weiterer Genrevertreter ist der selten gezeigte Vierteiler DIE JAGD NACH DEM TODE von Paul Gerhardt, in dem alle Register der naiv-kindlichen Schaulust gezogen werden.
Auch der Starkult des Weimarer Kinos ist präsent: Marlene Dietrich sieht sich in einer frühen Rolle finsteren Seemännern gegenüber; das kommende Filmtraumpaar Lilian Harvey und Willi Fritsch – später nicht mehr aus den Kinosehnsüchten der Unterhaltungsindustrie wegzudenken – trifft im mondänen Paris erstmalig aufeinander. Zudem werden Einblicke in Künstler*innenbiographien, die paradigmatisch für ihre Zeit stehen, gewährt: Einige der genannten Filmschaffenden, z.B. Berger und Metzner, mussten angesichts des NS-Regimes ins Exil; Behrendt wurde im KZ Auschwitz ermordet.